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Das Wahlverhalten
der Protestanten

Die Analysen des Wahlverhaltens der Protestanten zeigen, dass die politische Positionierung des Protestantismus mit seiner auf das ausgehende 19. Jahrhundert und den Kampf für die Laizität zurückgehenden klaren Verankerung im linken Spektrum fortbesteht, aber abnimmt. Kennzeichnend für den Protestantismus ist in dieser Zeit vor allem sein Einsatz für die Moderne.

Maurice Couve de Murville et Pierre Joxe © La Voix Protestante

Die aufeinanderfolgenden Meinungsumfragen und Erhebungen scheinen dies zu bestätigen, denn sie ergeben (Umfrage CSA 1995) für die Gesamtheit der abgegebenen Stimmen einen Anteil von 50-52 % für die Linke (im Wesentlichen für die Sozialistische Partei), 40 % für die Rechte, rund 9 % für die Grünen. Die religiöse Variable, die in Bezug auf das politische Wahlverhalten der Franzosen oft als aussagekräftigerer Unterscheidungsfaktor als die sozioprofessionelle Variable oder die Altersklassen angesehen wird, besteht weiterhin, verliert jedoch an Bedeutung.

Eine 1978 angestellte Erhebung bei Pfarrern ergab 52,3 % für die Linke, 18,9 % für die Rechte und die Mitte, 5,3 % für die Grünen. Bei einer Umfrage der SOFRES im Jahre 1977 bei katholischen Priestern waren die Ergebnisse umgekehrt :

30 % für die Linke, 66 % für die Rechte, 4 % für die Grünen.

Nuancen ergeben sich bei Betrachtung der Zugehörigkeit zu den verschiedenen Kirchen : die Pfarrer der Reformierten Kirchen stehen zu 66 % links, die lutherischen zu 54 % und die Pfarrer der charismatischen oder evangelikalen Strömungen verteilen sich auf 31 % links und 27 % rechts.

Diese Tendenz ist jedoch variabel

Es gibt regionale Unterschiede, wie die starken Anteile des Front National in einigen Dörfern des Elsass und das Fortbestehen einer kommunistischen Wählerschaft in manchen Gegenden der Cevennen zeigen.

Sie ändert sich vor allem auch je nach den Epochen der politischen Geschichte Frankreichs seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Vereinfachend lassen sich folgende Etappen unterscheiden :

Bei der Befreiung, zwischen der Kommunistischen Partei – der “Partei der Fusilierten” – und dem stark katholisch gefärbten “Mouvement républicain populaire” (MRP) (Republikanische Volksbewegung), schwindet der politische Einfluss des Protestantismus, der während der Dritten Republik so spürbar gewesen war, völlig, während der katholische Einfluss nach seiner Schwächung durch die Modernismuskrise und das Gesetz über die Trennung von Kirchen und Staat neu erstarkt.

Ein Beispiel hierzu : Der Nationalrat der Reformierten Kirche Frankreichs (ERF) bekräftigt die Bedeutung, die er dem Grundsatz der Laizität beimisst und kritisiert die Finanzierung privater Schulen durch den Staat, die unter Vichy begonnen hatte und dann 1950 institutionalisiert wurde : er findet jedoch kein Gehör.

Der Gaullismus stellt einen anderen Weg dar. Um nach dem Vichy-Regime die Glaubwürdigkeit Frankreichs wieder herzustellen, gründet General de Gaulle nach der Befreiung die Partei “Rassemblement pour le peuple français” (RPF) (“Sammlungsbewegung für das französische Volk”), die über den traditionellen Parteien stehen will, da sich diese in seinen Augen am Ende der Dritten Republik disqualifiziert haben. Nach seinem Bruch mit dem MRP der Vierten Republik geht er über die üblichen Themen, die den Gegensatz zwischen rechts und links ausmachen, hinaus und ist nicht mit der klassischen Rechten gleichzusetzen, und er erweist sich tatsächlich als fähig, die linke Wählerschaft anzusprechen. Protestanten nehmen zu verschiedenen Zeiten, 1945-1946 und 1958-1969, im Umfeld des Generals höchst verantwortungsvolle Positionen ein, darunter als wohl prägnantestes Beispiel Maurice Couve de Murville, der von 1958 bis 1968 Außenminister und von 1968 bis 1969 Premierminister ist. Andere haben ihn bekämpft, vor allem seine Algerienpolitik, so Jacques Soustelle, ein leidenschaftlicher Verteidiger des französischen Algerien, oder auf der anderen Seite all diejenigen, die gegen diesen Krieg waren.

Nach der Wahl François Mitterrands zum Präsidenten der Republik 1981 übernahm eine Anzahl von – bekennenden oder nicht bekennenden – Protestanten wichtige politische Ämter, worauf in der Presse oft hingewiesen wurde.

Der politische Pluralismus des französischen Protestantismus

Der politische Pluralismus des französischen Protestantismus ist eine Tatsache. Der Philosoph Paul Ricoeur führt ihn auf seine zweifache Abstammung zurück : auf der einen Seite Cevennen und Jacquerie (Bauernaufstand), aufsässig gegenüber dem Staat, und umgekehrt eine Seite von der Art des Calvinschen “wir sind es, die den Staat denken“. Der historische Gaullismus, wie auch der sich selbst verwaltende Sozialismus der 1960er Jahre, entspräche ersteren, die Protestanten in der hohen Beamtenschaft oder die Minister der Ära Mitterand wären eine Illustration der zweiten Seite.

Eine andere Darstellung stammt von dem Soziologen Jean Paul Willaime, der unter den Reformierten zwei Kulturen ausmacht. Die eine, die der Mehrheit, ist für eine ethische und politische Präsenz der Kirchen in der Welt der Gegenwart, da Christentum nicht ohne Engagement gelebt werden könne. Die andere, minderheitliche Kultur neige zu einem gewissen Konservatismus in Fragen der Liturgie und der Moral. Spiegeln sich diese beiden Sensibilitäten in den großen politischen Tendenzen wieder ? Das Urteil hierüber bleibt jedem Einzelnen überlassen.

Auf jeden Fall differenziert sich der Protestantismus immer stärker :

  • Unter den Protestanten sind die “historischen” Protestanten (Mitglieder der ERF) gesellschaftlich integriert und halten weiterhin an einer laizistischen, republikanischen Tradition fest.
  • Die evangelikal ausgerichteten Protestanten wie auch die von anderen Religionen (oder keiner Religion) kommenden, neu konvertierten Protestanten stehen weniger in dieser Tradition und tendieren mehr zum angelsächsischen Pragmatismus.
  • Bei den elsässischen Protestanten, die weit weniger links orientiert sind, besteht wie bei den Protestanten in Nordeuropa ein starkes Umweltbewusstsein.

Die Gleichsetzung “protestantisch = links” stimmt somit teilweise immer noch, unter dem Einfluss der genannten soziologischen Faktoren trifft sie jedoch immer weniger zu. Die protestantische Minderheit, die die Dritte Republik so stark geprägt hat, ist nunmehr wieder integriert und normalisiert, und sie hat dabei ihre politische Identität mehr und mehr verloren. Auf jeden Fall : “Wenn die Protestanten das kirchliche Lehramt abgelehnt haben, so nicht, um es dann in der Politik hinzunehmen” (J.P. Willaime).

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