Ein beständiges, von Offenheit gekennzeichnetes Bemühen im pädagogischen Bereich
Bereits im 16. Jahrhundert sind Reformation und Volksbildung eng miteinander verbunden :
- Die Forderung nach dem direkten Zugang zur Bibel bedeutet eine Entwicklung der Lesekultur.
- Das Vertrauen in die positive Wirkung eines erweiterten Zugangs zum Wissen : Mit zunehmender Bildung machen sich die Menschen immer mehr vom “katholischen Aberglauben” frei.
Der religiöse Individualismus und die zentrale Stellung der Vermittlung durch Lektüre machen Erziehung zu einer Notwendigkeit : « c’est la Réforme qui s’est passionnée pour l’instruction du peuple… Elle a voulu que tout homme sût lire, et quel livre ? Celui où elle-même puisait la vie » (Jean Jaurès, 1911).
Im 17. und 18. Jahrhundert markieren große protestantische Pädagogen den Anfang einer neuen Reflexion über Erziehung : der Tscheche Comenius und der Elsässer Oberlin und natürlich Jean-Jacques Rousseau.
Zu Beginn des 19. Jahrhundert machte das Beispiel der protestantischen Länder (Deutschland, England, Holland) einen starken Eindruck auf die Verantwortlichen, die das Schulwesen in Frankreich erneuern wollten. G. Cuvier (selbst Protestant) besuchte Schulen in Deutschland und Holland, wo ihm die modernen pädagogischen Methoden auffielen, die dort angewandt wurden. Als die Protestanten die verschiedenen religiösen Gesellschaften gründen, in denen sie sich zusammenschließen, ist eine der ersten (1829) die Société pour l’encouragement de l’instruction primaire parmi les protestants de France (Gesellschaft zur Förderung des Grundschulunterrichts unter den Protestanten Frankreichs).
Die beiden wichtigsten Momente im 19. Jahrhundert, in denen sich die Protestanten an der Entwicklung des Unterrichtswesens beteiligen, fallen in die Zeit der Julimonarchie und der Dritten Republik.
Die Einrichtung eines öffentlichen Grundschulsystems
Julimonarchie
Das Ministerium für das öffentliche Unterrichtswesen wird mehrmals Protestanten übertragen : Guizot von 1832 bis 1836, Claramond Pelet de la Lozère 1836 und erneut Guizot 1836 und 1837.
Nach der Gründung der Annales de l’Education, die die schweizerischen und deutschen Erziehungsmethoden in Frankreich bekannt machen, verkündet Guizot das erste große Gesetz über das staatliche Grundschulwesen (28. Juni 1833). Es schreibt weder die Unentgeltlichkeit des Unterrichts noch eine Schulpflicht vor, bestimmt jedoch, dass die Gebietskörperschaften drei Arten von Einrichtungen bereitstellen müssen : eine Grundschule für Jungen in jeder Gemeinde, eine Mittelschule (école primaire supérieure) in jeder Departementhauptstadt oder Stadt mit mehr als 6 000 Einwohnern, ein Volksschullehrerseminar in jedem Departement. Es unterscheidet zwischen :
- privaten Schulen, die in der Regel von einem katholischen Geistlichen geführt werden, aber es gibt auch protestantische Privatschulen (s. das protestantische Unterrichtswesen),
- die Gemeindeschulen (in denen übrigens auch ein katholischer Priester unterrichten kann), deren Überwachung einem Schulausschuss obliegt. Der Pastor ist – dort wo es einen gibt – de jure Mitglied dieses Ausschusses. Dadurch verschwindet bei den Protestanten die alte, aus den Zeiten der Verfolgung stammende Angst, dass die Kinder in der Schule “Bekehrungsversuchen” ausgesetzt sind (man kennt den Ausspruch, den Madame de Maintenon 1685 gemacht haben soll : « je n’aurai peut-être pas les parents, mais j’aurai les enfants ! » “ich bekomme vielleicht nicht die Eltern, aber die Kinder bekomme ich !”).
Napoleon hatte die Verantwortung für das Grundschulwesen der Ordensgemeinschaft der “Frères des Écoles chrétiennes” übertragen. Mit der Schaffung von Volksschullehrerseminaren ermöglicht Guizot ein säkulares Unterrichtswesen.
Gab es für den kostenlosen, bekenntnisneutralen, für alle obligatorischen Grundschulunterricht ein protestantisches Modell?
Dritte Republik
Die Niederlage von 1871 führt zu einer regelrechten schonungslosen Gewissensprüfung, bei der besonders die Unzulänglichkeiten des staatlichen Unterrichtswesens hervortreten. In seinem Buch La Réforme intellectuelle et morale (1871) sieht Renan in dem qualitativ hochstehenden Unterrichtssystem im protestantischen Deutschland einen der Gründe für dessen Erfolg und meint, im Falle eines Konflikts oder auch eines friedlichen Wettbewerbs würden die katholischen Nationen unausweichlich von den protestantischen Ländern geschlagen werden, wenn sie sich nicht reformieren. Gabriel Monod, der im Krieg Ambulanzfahrer war, stellt in Allemands et Français (1872) den in der Bibel lesenden deutschen Verletzten die französischen Verletzten gegenüber, die nichts lesen, Karten spielen und sich in Schlüpfrigkeiten gefallen. Monod zufolge wurde der Krieg vom deutschen – protestantischen – Schulmeister gewonnen.
Eines der großen Vorhaben der Dritten Republik war die Reform der Grundschule, von der sie sich viel verhoffte, um die Zukunft der Demokratie und soziale Stabilität zu sichern. Die Anstrengungen richten sich auf die Grundbildung, d. h. den Erwerb von Grundkenntnissen wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Staatsbürgerkunde. Das öffentliche Primarschulsystem, das durch die wichtigen Gesetze von 1880 eingerichtet wird, ist :
- unentgeltlich : Am Ende des Zweiten Kaiserreichs war nach den von Victor Duruy getroffenen Maßnahmen die Schule bereits für 2/3 der eingeschulten Kinder kostenlos. Mit dem Gesetz vom 16. Juni 1881 wird der Unterricht in allen Grundschulen sowie in den Vorschulen, den “salles d’asile”, die nunmehr “écoles maternelles” heißen, unentgeltlich. Ferner wird die Besoldung der Primarschullehrer zunächst von den Gemeinden und dann, ab 1889, vom Staat übernommen.
- Pflicht für Alle : Alle Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren müssen entweder in öffentlichen oder in privaten Schulen unterrichtet werden.
- bekenntnisneutral : An die Stelle der religiösen Erziehung treten der staatsbürgerliche Unterricht und die “Moral unserer Vorväter”. Das Lehrpersonal der staatlichen Schulen ist ausschließlich säkular und erhält in den Volksschullehrerseminaren auf Departementebene eine allgemeine und eine berufliche Ausbildung, die mit dem höheren Abschluss (brevet supérieur) und dem Bescheinigung der pädagogischen Eignung (certificat d’aptitude pédagogique) endet.
Diese Gesetze stellen einen zweifachen Bruch dar : mit der Tradition, die die Grundschulen als karitative Anstalten betrachtet, und mit jenen, für die die allgemeine Schuldbildung Verderbnis und Unruhe bedeutet. Außerdem ist die Verleihung der akademischen Titel nun wieder ein Monopol des Staats. Denn durch die Aufhebung der Bestimmungen des Schulgesetzes von 1852, der “loi Falloux”, die die religiösen Amtsträger und Lehrerinnen der Kongregationen von den Befähigungsprüfungen befreiten, ist es nunmehr unmöglich, in einer öffentlichen oder privaten Grundschule zu unterrichten, ohne zumindest den mittleren Abschluss (brevet élémentaire) zu besitzen. Von den Lehrern an privaten Anstalten wird natürlich kein Befähigungsnachweis verlangt.
Der in den Grundschulen und Mittelschulen (écoles primaires supérieures) erteilte Unterricht ist weiterhin vollständig getrennt vom Unterricht in den Oberschule (Lycée) und an den Universitäten.
Der Unterricht an den
Was den Sekundarunterricht im Oberschule (Lycée) betrifft, der mit der Reifeprüfung (baccalauréat) abschließt, so führen mehrere Änderungen zu einer Stärkung seiner Effizienz und einer weiteren Öffnung. Es werden “lycées” für Mädchen geschaffen, die den religiösen Kongregationen ihr Monopol auf dem Gebiet der Mädchenbildung entziehen, und es werden wissenschaftliche Sektionen eingerichtet.
Die Rolle der Protestanten bei diesen Reformen ist unbestreitbar, zumal die allgemeine Atmosphäre für den Protestantismus eher günstig ist (s. Die Protestanten und die politische Macht, Die Dritte Republik). Im Mitarbeiterstab von Jules Ferry sind Namen von Persönlichkeiten zu finden, die ausgewiesene Protestanten sind, darunter Theologen und ehemalige Pastoren. Der Beitrag zweier dieser Persönlichkeiten sollte entscheidend sein :
- Ferdinand Buisson, der einer der geistigen Väter der wichtigen Schulgesetze von 1881-1885 und Gründer der Hochschulen zur Ausbildung der Lehrer an Höheren Schulen (Écoles Normales Supérieures) Saint-Cloud und Fontenay-aux-Roses war,
- Félix Pécaut, der für die Umsetzung zuständig war.
- Jules Steeg, der zuerst dem Mitarbeiterstab von Jules Ferry angehörte und dann Generalinspektor des öffentlichen Unterrichtswesens für die Grundschulen und Direktor der Ecole Normale supérieure von Fontenay-aux-Roses war.
- Frau Jules Favre an der Hochschule zur Ausbildung der Lehrer an Höheren Schulen für Mädchen (École Normale Supérieure de jeunes filles) in Sèvres,
- Élie Rabier, der 18 Jahre lang Direktor für den Sekundarunterricht im Ministerium für das staatliche Unterrichtswesen war.
Im Unterrichtsbetrieb des staatlichen Schulwesens sind die Protestanten ebenfalls präsent : Von den 34 Inhabern der neu gegründeten akademischen Lehrstühle für Pädagogik sind 7 Protestanten. Ferner sind etwa 12 % der Autoren des Dictionnaire de Pédagogie Protestanten, 30 % der Verfasser der Texte, die in das 1883 von Hachette veröffentlichte Werk Lectures pédagogiques à l’usage des écoles normales primaires aufgenommen werden, sind Protestanten. In den “lycées” für Mädchen machen die protestantischen Schülerinnen 1885 bereits 22 % aus, 10 % der Lehrerschaft ist protestantisch und 25 % der Schulleiter sind Protestanten.
Außerdem lehren zahlreiche Protestanten an den Hochschulen, wie der Historiker Gabriel Monod, der Germanist Charles Andler und viele andere. Zahlreiche Protestanten sind an der Gründung der École libre des Sciences Politiques durch Émile Boutmy beteiligt.
Die Protestanten haben sich geistige Unabhängkeit bewahrt
Die staatliche Schule wurde von den Protestanten fast ausnahmslos begrüßt, manchmal auch mit einigen Vorbehalten, wie im Falle von Pastor Eugène Bersier. Obgleich es bereits ein Netz von mehr als 1 600 Schulen, in der Mehrheit Gemeindeschulen nach dem Muster der “loi Falloux” (Falloux-Gesetz), jedoch auch Privatschulen (s. Das protestantische Unterrichtswesen) gab, verzichten die Protestanten auf die Aufrechterhaltung dieses Netzwerks und entscheiden sich dafür, einen “staatstreuen Versuch” mit den Gesetzen zur Trennung von Kirche und Staat zu starten, während die Katholiken die entgegengesetzte Haltung einnehmen. Die Protestanten befürworten jedoch eine Trennung von Kirche und Staat in der Art, wie sie in den angelsächsischen Ländern praktiziert wird : der Lehrer unterrichtet zwar nicht mehr den Katechismus, aber die Religion soll präsent bleiben, sowohl im allgemeinen Bewusstsein als auch in den schulischen Räumen, die den Vertretern der verschiedenen Konfessionen offen stehen sollen.
Es wurde manchmal gesagt, die Republikaner hätten die Protestanten benutzt, weil sie die Etablierung derstaatlichen Schule erleichterten. In der Tat widersetzte sich die katholische Hierarchie zu Beginn der 1880er Jahre einer Schule “ohne Gott” und allein durch ihre Präsenz waren die Protestanten den Republikanern von Nutzen, indem sie zeigten, dass die staatliche Schule nicht gegen die Religion als solche war. Zumal diese Protestanten nicht mit den Positivisten (Gambetta, Littré, Ferry) oder den Freidenkern (Berthelot, Bert) gleichzusetzen sind. Sie sind zwar antiklerikal, aber “ihre Bejahung der Trennung von Kirche und Staat ist religiös geprägt” (P. Cabanel, op. cit.). Wenn Buisson auch die gesamte biblische Geschichte aus der Schule entfernt hat, so erkennt er doch weiterhin, wie Pécaut, das religiöse Bedürfnis des Menschen an : “ein Volk lebt nicht von Rechnen, Grammatik, Geographie oder Physik ; es hat auch noch höhere Bedürfnisse, die ebenfalls befriedigt werden müssen”. Die Bejahung der Trennung von Kirche und Staat durch diese liberalen Protestanten hat einen tief religiösen Charakter, aber geprägt von einer Religion, die die Freiheit des Anderen respektiert. Ihre Religion ist der katholischen Rechten zu weltlich, ihre Neutralität in Bekenntnisfragen der agnostischen Linken zu religiös.
Von den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts an ist der protestantische Einfluss weniger ausgeprägt. Die Trennung von Kirche und Staat setzt sich immer mehr durch mit der Forderung nach Neutralität, d.h. danach, dass die religiöse oder politische Zugehörigkeit im Rahmen der Ausübung des Lehrerberufs keine Erwähnung findet. Mit Émile Combes, einem ehemaligen Seminaristen, der sich zu einem “Monomanen des Antiklerikalismus” entwickelt hat, “ist die Möglichkeit geschwunden, dass sich Frankreich zu einem bekenntnisneutralen Land nach angelsächsischem Muster entwickelt, das heißt zu einem Land, das sich um die Neutralität von Staat und Schule gegenüber den verschiedenen Kirchen oder Sekten bemüht, jedoch nicht zögert, seinen Glauben an den Gott der Christen zu bekennen” (P. Cabanel, op. cit.).
Schließlich haben sich die Protestanten auch ohne Zögern an Initiativen für private Unterrichtsangebote beteiligt, wenn ihnen diese vertrauenswürdig erschienen. Sie haben 1870 die Gründung der École Alsacienne finanziert und die Finanzierung auch nach den Reformen der Dritten Republik fortgesetzt. Protestanten haben auch an der 1870 von Émile Boutmy gegründeten École Libre des Sciences Politiques gelehrt.