Von der Erweckung zum Anti-Klerikalismus
Nach seinem Studium des klassischen Altertums, der Literatur und der Rechte legte er an der Fakultät von Straßburg sein theologisches Doktorexamen ab. Anfänglich war er ein Anhänger der Erweckungsbewegung.
1845 übernahm Edmond Scherer das Lehramt für Kirchengeschichte am unabhängigen theologischen Seminar des « Oratoriums » von Genf, das von der Evangelischen Gesellschaft dieser Stadt betrieben wurde. Diese predigte die alleinige Erleuchtung durch die Bibel. Doch schon 1849 ließ der hervorragende und im evangelikalen Lager gut bekannte Kirchenhistoriker seine Gemeinschaft wissen, er könne deren Glaubensgrundsätze nicht länger teilen und legte alle seine Ämter nieder. 1850 erklärte er in der Broschüre La critique et la foi [Kritik und Glaube], daß es unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der modernen Theologie unmöglich sei, an den Lehrsatz vom göttlichen Ursprung der Heiligen Schrift zu glauben. Künftig arbeitete er an der von Timothée Colani herausgegebenen Revue de Strasbourg [Straßburger Zeitschrift] mit, die er auch finanziell unterstützte. Dort beschrieb er seinen spirituellen Werdegang, der ihn von der Erweckung über das Freidenkertum bis hin zum Agnostizismus geführt hatte (s. Die Zeit der Divisionen). 1860 ließ er sich in Versailles nieder und engagierte sich in intellektuellen und politischen Bewegungen. 1871 wurde er zum Abgeordneten gewählt (linkes Zentrum) und 1879 zum Senator auf Lebenszeit ernannt. Sein Antiklerikalismus machte ihn zu einem überzeugten Parteigänger der jungen III. Republik (1870-1940). Für sich selbst wünschte er ein rein ziviles Begräbnis.