Rückkehr zur Bibel
Viele Humanisten wollten auch die Kirche reformieren. Erasmus von Rotterdam gab dazu einen wichtigen Anstoß, als er 1516 den griechischen Urtext des Neuen Testaments zusammen mit einer eigenen lateinische Übersetzung veröffentlichte und in seinen Anmerkungen nachwies, dass viele gängige kirchliche Lehren und Gebräuche darin nicht zu finden sind.
Die Erasmus-Ausgabe des Neuen Testaments wurde von grundlegender Bedeutung für die Reformation, weil Martin Luther sie für seine deutsche Übersetzung benutzte. Aber Luther teilte nicht das Vertrauen des Erasmus auf die menschlichen Möglichkeiten der Nachfolge Christi. Sein Bibelstudium führte ihn zu einem anderen Verständnis vom Verhältnis des Menschen zu Gott. Echte Nachfolge ist erst möglich, wenn der Mensch seine Ohnmacht anerkennt und allein auf Gottes Liebe vertraut, die ihm in Christi Kreuz und Auferstehung begegnet und ihn zum uneigennützigen Handeln befreit.
Ende 1520 brach Luther mit dem Papst, weil dieser nicht bereit war, sich der Autorität der Bibel zu unterwerfen. Erasmus lehnte den Bruch Luthers mit dem Papst ab. Für ihn war die Einheit der Kirche unabdingbar. Ohne sie werde Europa auch kulturell und politisch zerfallen. Deshalb wollte er eine Reform, die die sichtbare Einheit der Kirche nicht bedrohte. Nicht wenige Humanisten der jüngeren Generation – unter ihnen Melanchthon – folgten jedoch Luther.