Werdegang
Jacques Seydoux war der Enkel von Charles Seydoux (1796-1875), dem Stammvater des ältesten Zweiges der Familie Seydoux. Er wurde in Pau in eine protestantische Familie Schweizer Herkunft geboren; sein Vater Auguste, ein Diplomat, zog sich frühzeitig aus dem Berufsleben zurück. Jacques Seydoux studierte an der juristischen Fakultät und an der Freien Schulen der Politikwissenschaften (École Libre des Sciences Politiques). Im Zulassungswettbewerb für die diplomatische Karriere erlangte er den ersten Platz. 1893 trat er im Alter von 23 Jahren Außenministerium (Quai d’Orsay) ein.
Von 1893 bis 1898 war er Botschaftsattaché in London, in einer Zeit extremer Spannungen mit Frankreich. Es war die Zeit vor der Fachoda-Krise, in der die Briten Frankreich zum Rückzug zwangen. Er kehrte fasziniert von der britischen Kultur und Lebensweise zurück.
Nach zwei kurzen Aufenthalten in Athen und Den Haag wurde er zum Botschaftssekretär in Berlin ernannt, wo er von 1901 bis 1905 blieb. Dort erlebte er den Einfluss der Banken und der Industrie auf die Gestaltung der deutschen Politik.
Im September 1902 heiratete er Mathilde Fornier de Clausonne, die einzige Erbin einer protestantischen Kaufmannsfamilie aus Nîmes, die 1776 in den Adelsstand erhoben worden war. In Berlin wird ihr Sohn François geboren, der dort später zehn Jahre lang als Botschafter tätig sein wird. Ihre Kinder nahmen 1923 den Namen ihrer Mutter an und nannten sich fortan Seydoux Fornier de Clausonne.
Nach seiner Rückkehr nach Frankreich wurde Jacques Seydoux nach dem „Panthersprung nach Agadir“ (der zweiten Marokkokrise, ausgelöst durch die Entsendung einer deutschen Korvette 1911 vor Agadir) mit den heiklen Geschäften in Marokko betraut.
1907, im Alter von 37 Jahren, erkrankte er an rheumatoider Arthritis, unter der er bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1929 grausam litt.
Wirtschaftliche Ausrichtung
Der Krieg gab seinem Berufsleben eine neue Richtung: Ab März 1915 war Jacques Seydoux Korrespondent des Quai d’Orsay im Komitee für die Beschränkung des Handels mit dem Feind; danach wurde er Abteilungsleiter in der Blockadedirektion, Unterdirektor im Ministerium für Blockade und befreite Regionen und schließlich französischer Vertreter im Blockadekomitee bei der Friedenskonferenz. In diesen verschiedenen Positionen etablierte er sich als unverzichtbarer Experte für das Verständnis der Wirtschafts- und Finanzmechanismen: Alle politischen Entscheidungsträger der damaligen Zeit holten seinen Rat ein.
Im Mai 1919 richtete der Generalsekretär des Ministeriums, Philippe Berthelot, für ihn die Unterabteilung für Handelsbeziehungen ein, wodurch zum ersten Mal wirtschaftliche Angelegenheiten in den Zuständigkeitsbereich des Außenministeriums fielen. Die ihm anvertrauten Aufgaben waren beträchtlich: Abwicklung der Blockade, Handelsaustausch, Reparationszahlungen und interalliierte Schulden. Er war einer der wenigen französischen Verantwortlichen, die den mitteleuropäischen Ländern und der gefürchteten Frage der österreichischen und ungarischen Reparationszahlungen Aufmerksamkeit schenkten.
Er vertrat Frankreich bei den interalliierten Konferenzen in Spa (Juli 1920), Brüssel (Dezember 1920), London (März und Mai 1921), Cannes (Januar 1922), Genua (April-Mai 1922) und London (Juli-August 1924), wohin ihn sein Sohn François begleitete.
Um das Problem der von Deutschland geschuldeten Reparationen mit Fairness und gesundem Menschenverstand und unter Bedingungen, die die deutsche Wirtschaft nicht erdrückten, zu lösen, zeigte er Mäßigung und Vorstellungskraft. Es dauerte jedoch bis 1924, bis er Gehör fand.
Jacques Seydoux koordinierte von Paris aus die gesamte französische Besetzung des Ruhrgebiets und war in dieser Angelegenheit der wichtigste Mitarbeiter des Staatspräsidenten Raymond Poincaré und später des Ministers für öffentliche Arbeiten, Verkehr und Versorgung, Edouard Herriot. Da er jedoch zunehmend von seiner Krankheit geplagt wurde und mit der Politik von Aristide Briand, dem Ratspräsidenten und Außenminister, immer weniger einverstanden war, beendete er im Dezember 1926 seine Karriere als Diplomat.
Einflussnehmer
Sein neues Leben in der Wohnung am Boulevard de Courcelles war unglaublich aktiv: Er trat dem Verwaltungsrat der Bank von Paris und den Niederlanden bei; im Februar 1927 wurde er zum Mitglied des Deutsch-Französischen Informations- und Dokumentationsausschusses gewählt; außerdem war er Generalabgeordneter des Aktionskomitees für den Völkerbund.
Er war zudem als Journalist tätig und veröffentlichte Texte in zahlreichen französischen, englischen und deutschen Zeitschriften. Im Petit Parisien, einer der großen Zeitungen der damaligen Zeit, schrieb er eine viel beachtete wöchentliche Kolumne mit dem Titel Notre politique extérieure (Unsere Außenpolitik). Außerdem gründete er Ende 1926 eine unabhängige Wochenzeitung für internationale Politik und Wirtschaft, Pax, die in Paris und Genf herausgegeben wurde.
Viele Züge seines Denkens erscheinen heute prophetisch: die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen, der Vorrang der Wirtschaft vor der Politik, die schrittweise Einführung einer europäischen Zollunion. Nach Jahren des Leidens unterzog er sich Ende 1928 einer schweren Operation, die ihn endgültig ans Bett fesselte, wo er am 26. Mai 1929 im Alter von 58 Jahren starb.