Sturm im Straßburger Rat
Jacques Sturm gehört zu einer der ältesten adligen Familien von Straßburg, in der man sowohl Männer findet, die mit der Religion zu tun haben, als auch solche, die in der Politik Verantwortung tragen. Wie sie füllt Jacques Sturm mehrmals die Ehrenfunktion des stettmeister aus (Vorsitzender des Stadtrates), insbesondere gehört er dem Rat der XV (innere Angelegenheiten) und dem Rat der XIII (äußere Angelegenheiten) an.
Zuerst für eine Karriere im Klerus bestimmt, verbringt er drei Jahre an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Heidelberg, dann studiert er in Freiburg Theologie, wo er mit Wolfgang Capiton und Matthieu Zell verkehrt. Im Jahre 1509 kehrt er nach Straßburg zurück und gehört einer humanistischen „Sodalität“ an (einer Bruderschaft), wo er 1514 Erasmus begegnet, dem zufolge die Religion eine Sache des persönlichen Gewissens ist. Diese Begegnung sowie die Lektüre seiner Schriften führen ihn zur Literatur des Altertums zurück, zur Bibel, zu den Kirchenvätern, zum Humanismus im Allgemeinen, der die Bedeutung von pädagogischen Reformen betont. Es scheint, dass er um 1520 die Schriften Luthers gelesen hat.
Im Laufe des Jahres 1523 gibt er seinen Status als Kleriker im Dienste des Dompropstes auf, engagiert sich in der Politik und lässt sich in den Stadtrat wählen. Innerhalb weniger Jahre wird er zum Leiter der Stadt und spielt eine bedeutende Rolle in den Angelegenheiten des Reiches.
Sturm und die Reformation
Die evangelische Bewegung erreicht Straßburg im Laufe des Jahres 1520 unter dem Einfluss des Dompriesters Matthieu Zell. Nach und nach wird die Feier des katholischen Gottesdienstes verändert, Geistliche heiraten. Von 1524 an ist die Mehrheit der Ratsmitglieder auf Seiten der evangelischen Bewegung, woraus Spannungen entstehen, da Frömmigkeit und religiöse Einrichtungen ineinandergreifen: wer kann über die Reformen entscheiden, sind sie mit den Gesetzen des Reiches und der Verurteilung Luthers in Worms 1521 vereinbar, was soll mit denen geschehen, die den traditionellen Formen treu bleiben oder im Gegenteil radikalere Reformen fordern?
Die Ausübung der Macht, auch was die kirchlichen Fragen betrifft, muss ganz genau festgelegt sein. Nach einer chaotischen Zeitspanne mit Schließung der Klöster, unkontrollierten Initiativen einiger evangelischer Prediger, entscheidet der Patrizier Sturm, dass in den die Religion und die Institutionen betreffenden Angelegenheiten ausschließlich die Stadt Machtbefugnis hat und nicht das Volk oder die Pfarrer. In Treue zur versöhnlichen Haltung von Erasmus ist er zunächst für einen gewissen religiösen Pluralismus unter Beibehaltung der Messe für einige Zeit, aber die Unruhen der ersten Jahre, der Kampf gegen die Wiedertäufer, der Bauernkrieg, bei dem seine Versöhnungsversuche scheitern, führen ihn zu einer strengeren Einstellung. Wenn die zivilen Behörden für die Stadt und ihre Einheit verantwortlich sind, so erstreckt sich die Macht des Rates seiner Meinung nach auch auf die Kirche und ihre Lehre. Sturm erinnert die Prediger daran, dass es ihre Rolle ist, das Evangelium zu verkündigen und nicht, dem Rat Anweisungen zu erteilen.
Er ist Vorsitzender der Synode von 1533, während der der Text von Martin Bucer angenommen wird, der die Wiedertäufer und andere religiöse Dissidenten verbannt.
Er interessiert sich für den Bereich Erziehung und steht bis zu seinem Tod der Schulkommission vor. Die Grundschulen werden verändert und ein Kolleg wird gegründet, um Pfarrer auszubilden. Er bittet Jean Sturm (einen Namensvetter ohne verwandtschaftliche Beziehungen), nach Straßburg zu kommen und Rektor einer Hochschule zu werden, des Gymnasiums, einer der einflussreichsten Schulen Europas.
Sturm als Diplomat
Im Jahre 1524 heiratet Sturm die Tochter eines stettmeisters und verstärkt seinen Einfluss nach seiner Berufung in die beiden Räte, den der XV und besonders den der XIII, der die äußeren Angelegenheiten regelt. 1526 wird er selber stettmeister.
Sein Format als Staatsmann setzt sich durch, er übernimmt den größten Teil der Außenpolitik der Stadt und vertritt Straßburg auf dem ersten Reichstag von Speyer (1526), der den Fürsten und Freien Städten vorübergehend Religionsfreiheit gewährt, dann auf dem von 1529, wo angesichts des Druckes, den der Kaiser gegen die Reformation ausübt, fünf Fürsten und die Vertreter von 14 Städten, darunter Straßburg, gegen das vom Kaiser vorgeschlagene Dekret feierlich Einspruch erheben.
Vor der Gefahr einer bewaffneten Unterdrückung gegen den evangelischen Glauben ist es nötig, mit Waffen widerstehen zu können, das heißt, Bündnisse zu schließen. Das Bündnis mit den Freien Städten des Reiches, das oft schon wirksam war, um ihre Rechte bei den Reichstagen zu verteidigen, ist nicht möglich, denn die Städte, selbst vereint, sind zu schwach, um den kaiserlichen Truppen zu widerstehen, zumal nicht alle die Reformation angenommen haben.
Auf dem Religionsgespräch von Marburg (1529) wird ein evangelisches Bündnis geschmiedet zwischen den Schweizern (Zürich, Basel, Bern), Philipp von Hessen, Johann von Sachsen sowie den Städten Nürnberg und Ulm. Aber es bleibt zerbrechlich, da Luther und Zwingli verschiedene Auffassungen über die Eucharistie vertreten. Die Streitigkeiten mit Sachsen stellen das Bündnis mit den Schweizern an erste Stelle im Rahmen eines „Rechtes auf christliche Mitbürgerschaft“, bei dem jeder sich verpflichtet, die anderen zu unterstützen, falls sie aus Glaubensgründen angegriffen werden.
Auf dem Reichstag zu Augsburg (1530) stellt sich Karl V. den protestantischen Fürsten aus Norddeutschland entgegen und lehnt das Augsburger Bekenntnis ab, einen Gründertext des Luthertums. Straßburg nimmt es nicht an. Martin Bucer verfasst ein eigenes Glaubensbekenntnis für Straßburg, das Tetrapolitanische Bekenntnis.
Bei der Gründung des Schmalkaldischen Bundes (1531-1532), in dem die theologischen Differenzen mit den Lutheranern geduldet werden, wird Straßburg in diese Liga aufgenommen, die 15 Jahre lang bestehen wird. Sturm zufolge soll ihr einziges Ziel in der Verteidigung und Verbreitung des evangelischen Glaubens bestehen, im Gegensatz zu Zwingli, der den Krieg als rechtmäßig erachtet, um die freie Religionswahl in den katholischen Schweizer Kantonen durchzusetzen. Gleichzeitig stellt er sich gegen die Angriffskriege der Liga in Württemberg und Norddeutschland, woraus Schwierigkeiten mit Philipp von Hessen folgen.
Aber die Auseinandersetzung mit dem Reich wird unausweichlich. Karl V. schlägt die Liga in der Schlacht von Mühlberg 1547; Straßburg ist bedroht, die Alternative ist Kapitulation oder Widerstand.
Bucer und die Prediger sind gegen die Kapitulation und verlangen, dass das Volk befragt wird, was Sturm, der für Verhandlungen plädiert, ablehnt. Er nimmt das von Karl V. verkündete Interim an, das zur Rückkehr zum Katholizismus zwingt, aber erreicht einige Zugeständnisse (Abendmahl, Heirat der Priester) in Erwartung des Konzils von Trient.
Sturm leistet den Treueeid, verhandelt mit dem Bischof, der die Ausweisung von Martin Bucer fordert. Die gemachten Zugeständnisse werden zehn Jahre später aufgehoben und erlauben Straßburg, den evangelischen Glauben zu retten.