Übereinstimmungen und Unvereinbarkeiten zwischen der jansenistischen und der protestantischen Glaubenslehre
Der Jansenismus war eine auf den flämischen Bischof Cornelius Jansen (1585-1638) zurückgehende katholische Reformbewegung. Seine Anhänger beschäftigten sich mit den theologischen Themen der Prädestination (göttliche Vorherbestimmtheit eines jeden Menschen zur Seligkeit oder zur Verdammnis), der göttlichen Gnade (der wirksamen, zuvorkommenden oder hinreichenden Gnade) sowie mit dem Problem der (absoluten oder eingeschränkten) Willensfreiheit des Menschen. Ihr Interesse an diesen Themen erklärt sich ohne Zweifel aus dem Umstand, daß diese im Schrifttum der Reformation eine herausragende Stellung einnehmen.
Die Jansenisten schlugen eine Interpretation vor, die als besonders unerbittlich gilt, da sie das persönliche Heil in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt – eine im 17. Jahrhundert allgegenwärtige Besorgnis. Die jansenistischen Schriften betonen, daß der Mensch keine Heilssicherheit habe, da er von Natur aus sündhaft und schlecht sei.
Diese Auslegung wandte sich in erster Linie gegen eine Religion, die den Menschen den Vorschriften einer Einrichtung (der Kirche) unterwirft, welche sich von Gott direkt dazu ermächtigt fühlt, als alleiniger Mittler zwischen ihm und der Welt aufzutreten.
Die Jansenisten wiesen jegliche unüberlegte (« naive ») Unterwerfung unter diesseitige Mächte zurück und traten für die Weltabkehr des Christen und der Kirche ein. In dieser Hinsicht standen sie den Protestanten zweifellos sehr nahe ; jedenfalls konnten sie die Gründe nachvollziehen, die den Wunsch nach einer Reform der christlichen Kirche geweckt hatten. Wie die Protestanten zogen sie daraus Konsequenzen, die die persönliche Lebensführung berührten, und traten genau wie diese dafür ein, den in der Welt auftauchenden Problemen durch begründetes Nachdenken zu begegnen.
In diesem Zusammenhang interessierten sich die Jansenisten besonders für den Gebrauch und den Mißbrauch der Vernunft im gesellschaftlichen Umgang des Menschen. In strenger Beweisführung prangerten sie den Machtmißbrauch sowohl der Monarchie als auch der Kirche an. Besonders in der Grammaire et Logique de Port-Royal [Grammatik und Logik von Port-Royal] wird ihre Fähigkeit zu einer Argumentation jenseits des Denkens in Ursachen und Wirkungen deutlich – eines Denkens, das zu keinen verläßlichen Ergebnissen mehr führt, sobald sich in ein und der selben Situation eine Vielfalt von Standpunkten vertreten läßt, die sich aus unterschiedlichen und miteinander nicht in Einklang zu bringenden Vernunftsgründen ableiten.
Die Wege, die von den Jansenisten und den Protestanten eingeschlagen wurden, um sich den Problemen ihrer Zeit zu nähern, ergänzten sich gewiß. Aber es wurden von ihnen kaum ernsthafte Anstrengungen zu einer gegenseitigen Annäherung unternommen, wie es mehrere Kontroversen im angespannten Klima der Gegenreformation bezeugen. Im Dictionnaire historique et critique [Historisch-kritisches Wörterbuch, 1697] des Protestanten Pierre Bayle klingen diese Auseinandersetzungen nach.
Der Jansenismus wollte sich die Abkehr der protestantischen Reformation von der katholischen Kirche nicht zueigen machen. Seine Wortführer hofften vielmehr darauf, der Kirche eine neue « gerechtfertigte Autorität » verleihen zu können, die sie dazu befähigen würde, den Gebrauch der Vernunft in einer sich modernisierenden und zur Eigenverantwortlichkeit entwickelnden Welt zuzulassen.