Das Konsulat und das Reich
Das Elsass hat genug von den Unsicherheiten und Exzessen des Direktoriums und begeistert sich für Napoleon Bonaparte. Es feiert alle Schritte des neuen Regimes, besonders seine militärische Odyssee, steht aber den zahlreichen Verwaltungsreformen eher gleichgültig gegenüber. Wie die übrigen Regionen Frankreichs lässt es ihn ab 1812 und dem Russlandfeldzug fallen.
Unter den politischen und Verwaltungsmaßnahmen sind das Konkordat und die grundlegenden Bestimmungen über die protestantische Religion wesentlich. Bonaparte, der die Bedeutung der Rückkehr zu den religiösen Traditionen erkennt und den Staat festigen will, handelt mit Papst Pius VII. ein Konkordat aus. Dieses wird am 15. Juli 1801 unterzeichnet, ohne dabei eine der größten Eroberungen der Revolution aufzugeben: die Gewissensfreiheit.
Bonaparte ist der Ansicht, dass es nur gerecht ist, auch den Protestanten einen Rechtsstatus zu geben, indem er ihre Bestrebungen berücksichtigt. Das mit der katholischen Kirche unterzeichnete Konkordat wird durch die grundlegenden Bestimmungen (Gesetz vom 8. August 1802) ergänzt, die dem Protestantismus einen Rechtsstatus gewähren. Das Gesetz macht aus der Gemeinde die Urzelle der Kirche. Es lässt die Pastoren und ihre Presbyterien durch die Gemeindeglieder wählen und gesteht den höheren Autoritäten nur administrative Verantwortlichkeit zu.
Doch das Gesetz, das von der gesetzgebenden Körperschaft erlassen und am 18. Germinal des Jahres X verkündet wurde, entspricht nicht völlig den Wünschen der Protestanten. Es schafft die Gemeinde als Urzelle ab und ersetzt sie durch ein kirchenamtliches Verwaltungsgebiet von 6.000 Gemeindegliedern. Jede Amtskirche besteht aus einem Pastor, der von 6 bis 12 angesehenen, unter den Reichsten ausgewählten Persönlichkeiten umgeben ist; die Vereinigung von Amtskirchen bildet den Bezirk einer örtlichen Synode.
Für die Reformierten wird die Schaffung einer Nationalsynode abgelehnt. Bonaparte will nämlich kein zentrales Organ, sondern zieht eine Vielzahl von im ganzen Land verstreuten Verwaltungsgebieten vor.
Für die Lutheraner wird eine Aufsichtsbehörde der Kirche des Augsburger Bekenntnisses geschaffen; eine Inspektion (ein Pastor und zwei Laien) hat fünf Amtskirchen zu betreuen.
Doch Bonaparte wünscht im Interesse des Staates, dass diese zahlreichen im Osten des Landes lebenden Protestanten eine einem Zentralorgan unterstehende Einheit bilden: ein in Straßburg gegründetes Direktorium, dessen Zusammensetzung von der Regierung kontrolliert wird, indem sie drei der fünf Mitglieder bestimmt. Seine Tätigkeit wird somit nur wenig vom allgemeinen Konsistorium kontrolliert, in welches jede der sechs Inspektionen eines ihrer Mitglieder delegiert, und dessen Rolle in der Wahl zweier der fünf Mitglieder des Direktoriums besteht.
Wie für die Katholiken müssen alle Aktivitäten und Ernennungen von der örtlichen politischen Autorität, in diesem Fall vom Präfekten, gutgeheißen werden.
Dieses Gesetz wird trotz seiner Unvollkommenheit sehr gut angenommen. Dankgottesdienste werden in allen Kirchen abgehalten: der Protestantismus wird mit den gleichen Rechten anerkannt wie der Katholizismus.
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Erziehung. Während über die grundlegenden Bestimmungen diskutiert wird, stellt sich die Frage nach der Ausbildung der Pfarrer. Die protestantische Universität, die eine theologische Fakultät besaß, war in den Unruhen untergegangen. Bonaparte bewilligt die Gründung eines nur für die Lehre der Theologie zuständigen Instituts. Die grundlegenden Bestimmungen sehen so die Gründung eines Seminars für die Lutheraner und dasselbe für die Reformierten in dem damals französischen Genf vor. Später nimmt das Seminar auch andere Fachrichtungen auf, so lehrt zum Beispiel Pastor Oberlin dort die Archäologie.
Das protestantische Oberschulwesen wird dem Gymnasium anvertraut, das nach und nach, indem es seinen konfessionellen Charakter zurückstellt, mit der Oberschule des Reichs in Konkurrenz tritt. Für das Grundschulwesen bleiben die Gemeinden zuständig.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellen die Lutheraner ein Drittel der elsässischen Bevölkerung, in den alten Freistädten wie Münster, Colmar und Weißenburg sind sie zahlreich und besonders in Straßburg, wo im Jahre 1800 auf 38.000 Einwohner 25.000 Protestanten kommen. Man zählt 160 lutherische Gemeinden mit über 200 Pfarrern.
Die Reformierten mit 16 Pfarrern werden auf 25.000 geschätzt, von denen 14.000 in Mülhausen leben, einer völlig reformierten Stadt.
Unter dem Zweiten Kaiserreich macht sich die Französisierung der elsässischen Gesellschaft bemerkbar. Besonders in den Städten wird sie offensichtlich: Theater, Oper, Vaudeville nach französischer Art werden beliebt. Die offizielle Sprache der Staatseinrichtungen ist Französisch. Die religiösen Predigten werden in beiden Sprachen gehalten, auf Deutsch und auf Französisch. Umgangssprache der Bauern und Arbeiter bleibt der elsässische Dialekt, aber die französische Sprache setzt sich dank der Arbeit der Grundschullehrer allmählich durch.
Die Restauration
Während der Restauration bleibt das gute Einverständnis zwischen Katholiken und Protestanten bestehen. Artikel 5 der Charta von Ludwig XVIII. erklärt, dass „jeder seine Religion in der gleichen Freiheit ausübt und für seinen Glauben denselben Schutz erhält“. Die einzigen Auseinandersetzungen betreffen das Unterrichtswesen, das einige Katholiken kontrollieren wollen.
Aber die Anhänger von Bonaparte, die im Elsass zahlreicher sind als anderswo, empören sich über die von Karl X. ergriffenen konterrevolutionären Maßnahmen, vor allem das Bündnis von Thron und Altar, und sie lösen den drei Tage dauernden revolutionären Aufruhr von Juli 1930 aus. Der Aufstand breitet sich aus und am 12. August feiert Straßburg die Ausrufung von Louis-Philippe zum Bürgerkönig.
Die Julimonarchie
Unter der Julimonarchie befiehlt Guizot die Gründung einer Grundschule in jeder Ortschaft, eine Entscheidung im Sinne der Reformation, die neben jeder Kirche eine Schule errichten will: so bekommen die Pfarrgemeindeschulen, die kommunal werden, Lehrer, die den öffentlichen Grundschullehrern gleichgestellt sind.
In jener Zeit des Wiederaufflammens der Frömmigkeit nehmen die Streitereien mit den Katholiken wieder zu und nehmen oft lächerliche Formen an, wie die Kontroverse um die Feier Gutenbergs oder die Anwesenheit eines Lutherbildes auf der Skulptur eines öffentlichen Denkmals.
Die elsässischen Protestanten nehmen mit demselben Eifer wie die Protestanten der übrigen Regionen an den Debatten zwischen Rationalismus, Liberalismus, Erweckung, Pietismus teil.
Die II. Republik
Das lutherische Direktorium war in den ersten Tagen der Revolution von 1848 zusammengebrochen. Eine Kommission wird gebildet und fordert eine neue Kirchenverfassung. Die Probleme der Neuorganisation nehmen also einen großen Platz im Leben der Kirche ein. Die Anhänger des revolutionären Ideals fordern die Verwirklichung einer Kollegialität, mittels derer alle Gläubigen an den Diskussionen über die Anliegen der Kirche und an der Wahl der Pastoren teilnehmen würden, sowie die Verwaltung durch Laien.
Eine gesetzgebende Versammlung wird beauftragt, Änderungen an den grundlegenden Bestimmungen vorzuschlagen, die als dem Protestantismus entgegenstehend beurteilt werden. Sie fordert die Anerkennung der Gemeinde und des Presbyteriums sowie die Wahl des Pastors.
Für die Lutheraner wird nach zahlreichen Diskussionen gewünscht, dass das allgemeine Konsistorium wieder zur obersten Autorität wird, während das Direktorium mit der Lösung der laufenden Fragen beauftragt wird.
Die Ideen, die zu diesen Vorschlägen führen, werden von der Regierung gemäßigt; dem allgemeinen Konsistorium obliegt die Kontrolle der Disziplin, die Genehmigung der die inneren Angelegenheiten betreffenden Regeln, die Überprüfung der Bücher für den Religionsunterricht, die Überprüfung der Rechnungen; das Direktorium behält sich die Ernennung der Pastoren vor, die Verwaltungshoheit und die Wahl der der Regierung vorzuschlagenden Inspektoren, die Überwachung des Gymnasiums und des Seminars.
Für die Reformierten gibt das Dekret von 1852 allen Gemeinden das Recht, ein von allen Gemeindemitgliedern gewähltes Presbyterium zu haben, während die Ernennung der Pastoren dem Konsistorium vorbehalten bleibt.
Das Gesetz Falloux von 1850 bestätigt den konfessionellen Charakter der Grundschulen.
Das Zweite Kaiserreich
Unter dem Zweiten Kaiserreich ist als wichtigste Tatsache der erneute Versuch zu nennen, die protestantischen Stiftungen in Frage zu stellen, vor allem mit der Zuweisung der Besitztümer der lutherischen Stiftung des Heiligen Thomas an die Stadt Straßburg.
Der im Juli 1870 begonnene französisch-preußische Krieg endet am 10. Mai 1871. Das Elsass mit Ausnahme der kleinen Region um Belfort wird von Preußen völlig annektiert. Die Hälfte von Lothringen mit Metz und Thionville erleidet dasselbe Schicksal. Eine Million Elsass-Lothringer auf einem Gebiet von 14.500 Quadratkilometern wird deutsch. Nach einem rasch vereitelten Versuch, das preußische Kirchenrecht einzuführen, werden die grundlegenden Bestimmungen beibehalten.
Ein neues Kapitel der Geschichte des Elsass beginnt.