Erste Welle: Gründung von zahlreichen französischen Kirchen
Die ersten Ankömmlinge erscheinen sehr früh, gleich nach den ersten Verfolgungen. Sie kommen von der Atlantikküste: Picardie, Normandie, Bretagne, Gascogne. Die Thronbesteigung des sehr jungen Königs Eduard VI. (König von 1547 bis 1553) beschleunigt die Bewegung: ermutigt von seinem Onkel, dem Protektor Edward Seymour Herzog von Somerset, und von Thomas Crammer, dem Erzbischof von Canterbury, gewährt der König den Flüchtlingen seinen Schutz.
Im Jahre 1550 erkennt er die Existenz der Kirche der Ausländer von London an und weiht sie als „etablierte Kirche“ gleichberechtigt mit der Kirche Englands. Bedeutende Persönlichkeiten der Reformation wie Martin Bucer (1491-1551) werden um ihr Kommen ersucht.
Nach einer Unterbrechung unter der Herrschaft von Maria Tudor (Königin von 1553 bis 1568), einer katholischen, dem Protestantismus gegenüber sehr feindlich eingestellten Prinzessin („Bloody Mary“), nimmt die protestantische Fluchtbewegung wieder zu unter Elisabeth I. (1558-1603), die all denen Asyl und Schutz anbietet, die vor den Verfolgungen fliehen, besonders vor denen durch den Herzog von Alba in den spanischen Niederlanden.
Diese Flüchtlinge, zu denen die französischsprachigen Wallonen hinzukommen, lassen sich als Gemeinden nieder um die Kirchen herum, die sie ab 1561 in Canterbury gegründet haben (wo eine hugenottische Kapelle unter der Kathedrale weiterhin besteht), dann in Norwich, Southampton, London. Sie alle gehören dem calvinistischen Glauben an.
Für die Jahre 1560-1570 wird die Anzahl der Flüchtlinge auf 6000 bis 7000 geschätzt; beruflich arbeiten sie als Handwerker, aber auch im Handel, Transport und in der Versorgung; die bäuerliche Welt hingegen ist nicht vertreten.
Die Erschütterung über die Bartholomäusnacht (1572) ist groß, die Königin und der Hof legen Trauerkleidung an; die erzwungene Konversion von Kindern erscheint ihnen besonders schockierend. Die Pariser Tragödie führt zu einem überstürzten Zustrom von Davongekommenen, vor allem aus der Normandie, und das Konsistorium der französischen Kirche muss einen zusätzlichen wöchentlichen Gottesdienst sonntags um 7 Uhr einführen.
Mit dem Edikt von Nantes (1598) geht die Zahl der Flüchtlinge zurück, von 5300 im Jahre 1573 auf 3500 im Jahre 1581 und auf 1500 im Jahre 1618, steigt dann wieder an auf 3500 nach den schrecklichen Jahren von 1620 in La Rochelle. England beherbergt in den Jahren um 1680 etwa 8000 bis 10000 Hugenotten, die Hälfte davon in London, die andere Hälfte im östlichen Teil des Landes, wobei die zweiten und dritten Generationen in der anglikanischen Kirche aufgehen. Die Widerrufung des Edikts von Nantes wird eine zweite sehr viel größere Immigration nach sich ziehen.
Die Große Fluchtbewegung
Nach der Widerrufung des Edikts von Nantes (1685) flüchten 40.000 bis 50.000 Hugenotten nach England. Die meisten kommen aus der Normandie (25%) und dem Poitou (40%), indem sie die Häfen von Bordeaux, La Rochelle, Nantes nutzen. Die Flüchtlinge werden von den Gemeinden, die seit der ersten Fluchtbewegung existieren, übernommen. Sie bekommen Pässe und man gewährt ihnen Vorteile: Steuern zum gleichen Tarif wie die Einheimischen, ihre Kinder können dieselben Schulen und Kollegien besuchen. Die Reformierten lassen sich in den großen Zentren von Canterbury nieder und besonders in London, wo man im Jahre 1700 bis zu 14 französische Kirchen zählt. In London wird ein „Haus der Barmherzigkeit“ geschaffen, „Die Suppe“, und das französische Krankenhaus „La Providence“ wird 1718 gegründet.
In jener Zeit der besonders unsicheren Geschichte Englands hat der Einfluss der königlichen Politik auf die Fluchtbewegung ständig gewechselt: Karl II. (König von 1630 bis 1681) begünstigt die Niederlassung der Hugenotten, ihre Einbürgerung und ruft zur Hilfsbereitschaft ihnen gegenüber auf; sein Bruder Jakob II. (König von 1685 bis 1688) betont seinen katholischen Glauben, aber als Feind von religiöser Gewalt nimmt er eine gemäßigte Haltung gegenüber den Flüchtlingen ein, indem er vor allem die Veröffentlichungen, die die Widerrufung des Edikts von Nantes betreffen, später erscheinen lässt; er unterstützt einen Versuch, die Hugenotten in Irland anzusiedeln.
Erst sein Schwager, Wilhelm III von Oranien (König von 1689 bis 1707), der nach seiner Eroberung Englands der Dynastie der Stuarts ein Ende setzt und sich zum erklärten Verteidiger des protestantischen Glaubens aufschwingt, sichert den Franzosen der Fluchtbewegung seinen Schutz zu. Im Jahre 1709 gewährt Königin Anna allen Flüchtlingen, die im Königreich angesiedelt sind, das Bürgerrecht.
Man schätzt, dass am Ende des 17. Jahrhunderts 50.000 Hugenotten in England Asyl gefunden haben, das heißt 1% der Bevölkerung des Landes.
Die Fluchtbewegung, ein Gewinn für England
Wie in allen Ländern der Fluchtbewegung leisteten die Hugenotten einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung ihres Aufnahmelandes: Händler, Gewerbetreibende, Handwerker waren aktiv im Bereich der Seidenindustrie, der Juwelierkunst, der Bänder- und Papierproduktion. Architekten, Maler und Graveure haben dazu beigetragen, Paläste und Gärten zu verschönern.
Die Hugenotten sind im Finanzleben und besonders im Kulturleben stark vertreten, nachdem 1689 die Pressefreiheit gewährt worden war. Unter den erscheinenden Veröffentlichungen gehen mehrere auf Hugenotten zurück: der „Post-man“ von einem Pastor aus dem Périgord erscheint dreimal pro Woche und verbindet die hugenottische Diaspora; das „Gentleman’s magazines“ genauso wie der „Postboy“ werden von Hugenotten gegründet. Ein ehemaliger Bewohner der Cevennen übersetzt das Werk des englischen Republikaners John Locke.
Die Fluchtbewegung und internationale Politik
Die Fluchtbewegung hat zweifelsohne ihren Anteil an der Rivalität zwischen Frankreich und England am Ende des 17. Jahrhunderts. Wilhelm II. von Oranien kommt 1689 in England an die Macht, begünstigt durch die „Glorreiche Revolution“. Seine Armee wird von Frédéric-Armand de Schoenberg befehligt, deutscher Abstammung, Marschall von Frankreich, der dem Protestantismus treu geblieben ist und der gleich nach der Widerrufung des Edikts von Nantes die Erlaubnis erhalten hatte, Frankreich zu verlassen. Derselbe, dessen Armee 3000 nach Holland geflüchtete Hugenotten zählt, besiegt in der Schlacht von Boyne (1690) die katholischen, mit Ludwig XIV. verbündeten irischen Jakobiter.
Wilhelm steht so an erster Stelle der protestantischen Kriegsführer gegenüber den katholischen Mächten wie Frankreich und Spanien. Im Gegensatz zu dem von Ludwig XIV. verkörperten Absolutismus behauptet sich die englische Krone als eine parlamentarische Monarchie.
Die protestantische französische Kirche von London
Eduard VI. hatte am 24. Juli 1550 Patentbriefe unterzeichnet, die die Existenz der „Kirche der Ausländer“ in London anerkennen. Die Ernennung der Pastoren muss vom Herrscher bestätigt werden (eine immer noch bestehende Tradition). Diese Kirche besteht aus verschiedenen Nationalitäten: Franzosen, Niederländern, Deutschen, woraus Sprachprobleme entstehen: die Franzosen lassen sich an einem anderen Gottesdienstort in der Threadneedle Street nieder, den sie 300 Jahre lang benutzen werden.
Nach der Widerrufung des Edikts von Nantes, angesichts des Ansturms der Flüchtlinge, werden ungefähr 30 Kirchen in London geschaffen, etwa zehn im Rest des Landes.
Dank der schnellen Assimilation werden viele Kirchen geschlossen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es nur noch drei französische Kirchen in London und einige Kirchen in Canterbury und Brighton. Die heutige und einzige protestantische französische Kirche in London befindet sich am Soho Square.