Die Ursprünge
Die Ideen Luthers und Zwinglis finden in Frankreich seit den 1520er Jahren in dem damaligen Klima geistiger Toleranz Anklang. In der Umgebung des Königs Franz I. hatten sie einen gewissen Erfolg. Aber seit 1523 werden sie bekämpft und 1535 nach der Placard-Affaire verschärft sich die Verfolgung.
Trotzdem können sich die Reformierten in einer Kirche organisieren, die erste entsteht in Meaux. Johannes Calvin (1509-1564) trägt von Genf aus zur Organisation der reformierten Kirche in Frankreich bei. 1559 versammelt sich in Paris die erste frankreichweite Synode: Sie stimmt über das Glaubensbekenntnis und eine Kirchenordnung ab, die 250 Jahre lang für die reformierten Protestanten Frankreichs verbindlich sein wird. Im Königreich Frankreich sind die Protestanten fast ausschlieβlich reformiert, ihre Zahl beläuft sich auf bis zu 2 Millionen Personen.
1562 beginnen die Religionskriege, sie enden 1598 mit dem Edikt von Nantes: eine finstere Zeit der Schlachten, Plünderungen und Massaker. Wenn das Edikt auch den Religionsfrieden in Frankreich wieder herstellt und für die Protestanten vorteilhaft ist, weil sie geschützt sind und Zugang zu allen Ämtern bekommen, so beschränkt es doch die Orte, an denen die Protestanten ihre Gottesdienste abhalten können: diese sind nur in Städten und Dörfern erlaubt, in denen sie schon 1577 abgehalten wurden, an Orten, wo sie in den zwei Jahren vor dem Edikt gefeiert wurden, an zwei von einem Vogt verwalteten Orten und in den Residenzen der groβen protestantischen Herren. Diese Einschränkung wirkt sich vor allem auf den Norden Frankreichs ungünstig aus, wo es viel weniger Gottesdienstorte gab als im Süden.
1610, nach der Ermordung Heinrichs IV. bestehen die reformierten Kirchen unter der Regierung Ludwigs XIII. trotz neuer Religionskriege weiter. Seit 1660 werden die immer noch gültigen Bestimmungen des Edikts von Nantes mit immer mehr Einschränkungen angewandt und auf königliche Anordnung sogar abgeändert. Gottesdienstorte werden abgeschafft. Von 1680 bis zum Edikt von Fontainebleau, mit dem Ludwig XIV. das Edikt von Nantes widerruft, wird die Unterdrückung immer gewalttätiger: ab dann gibt es keine reformierten Kirchen mehr, sondern nur heimliche Zusammenkünfte. Man nennt diese heroische Zeit, die bis 1760 dauert, die Zeit der Wüste.
Die reformierte Kirche ersteht dann im Untergrund wieder und wird geduldet. Die Freiheit der Religionsausübung wird offiziell erst in der Verfassung von 1791 anerkannt.
Die Konsistorialkirche von 1802
Im April 1802 erlässt Napoleon Bonaparte, Erster Konsul, das Gesetz des 18. Germinal im Jahr X (Organische Artikel über den protestantischen Gottesdienst), durch das die reformierte Kirche anerkannt wird. Jede Kirche darf nicht mehr als 6.000 Protestanten zählen; sie wird von einem Konsistorium geleitet, das sich aus den Pastoren und zehn bis zwölf Honoratioren zusammensetzt. Die Pastoren werden vom Staat ernannt und bezahlt. Die Zersplitterung der reformierten Kirche, die jetzt konsistoriale Kirche genannt wird, bleibt bestehen, denn über Versammlungen und Synoden wird in den organischen Artikeln nichts Genaues gesagt. Als Napoleon Kaiser geworden war, überlieβ er den Reformierten katholische Kirchen und aufgelassene Klosterkapellen.
Die Konsistorialverfassung bestand bis zum Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat im Jahr 1905, gleichzeitig tauchten im Laufe des 19. Jahrhunderts freie, vom Staat unabhängige Kirchen auf.
Für dieses Jahrhundert sind die verschiedenen Erweckungsbewegungen, die von Predigern aus Genf, England und Deutschland eingeführt werden, charakteristisch; diese Bewegung geht mit der Gründung neuer Kirchen (Methodistenkirchen) einher, aber entsteht auch in den bestehenden reformierten Kirchen als Reaktion auf Formalismus und Trockenheit mancher Gemeinden. Auch pietistische Strömungen führen zur Belebung der Kirche.
Aber auch doktrinäre Strömungen durchziehen die reformierten Kirchen: die orthodoxe, auch evangelisch genannte Richtung, will zur Lehre Calvins zurückkehren und widersetzt sich liberalem Gedankengut, das ein wissenschaftliches Bibelstudium verlangt oder gar zum Rationalismus neigt. Zwischen Orthodoxen und Liberalen war auf der Generalsynode von 1872 keine Übereinstimmung möglich. Dennoch kommt es erst 1906 zur Aufspaltung der reformierten Kirchen in drei Kirchenorganisationen.
Die Reformierte Kirche Frankreichs (ERF) wurde 1938 auf Veranlassung des Pastors Marc Boegner auf einer Versammlung in Lyon gegründet. Fünf Jahre intensiver Kontakte zwischen orthodoxen und liberalen Reformierten waren vorausgegangen. Die ERF setzt sich zusammen aus:
- der Mehrheit der Mitgliedskirchen der Union des Églises évangéliques (Orthodoxe),
- allen Kirchen der Union der Églises réformées (Liberale),
- einer groβen Zahl freier (vor 1905 vom Staat unabhängiger) Kirchen,
- der Mehrheit der Methodisten-Kirchen.
Die Vereinigung dieser in sich doch auch verschiedenen Strömungen ist durch die Formulierung eines Vorworts zum Glaubensbekenntnis möglich geworden, in dem festgelegt wird, dass „es nicht darum geht, dem Glaubensbekenntnis eine unangemessene Autorität beizulegen … im Bewusstsein, dass die frohe Botschaft alle Formulierungen übersteigt und dass der Glaube in verschiedenen Situationen anders zum Ausdruck gebracht werden muss …“
Die Theologie
Die Theologie der ERF ist im Glaubensbekenntnis von 1938 zusammengefasst, das noch immer in Kraft ist und bei der Eröffnung jeder Synode und bei jeder Amtseinführung gelesen wird.
Die ERF bekennt sich zu den sechs groβen Prinzipien der Reformation, die von allen Protestanten geteilt werden:
- Gott allein die Ehre: nichts ist heilig oder absolut auβerhalb Gottes;
- allein durch Gnade: die Gnade ist die freiwillige und ursprüngliche Liebe Gottes zum Menschen; der Mensch ist auch unabhängig von seinen Verdiensten schon gerettet. Das Vertrauen Gottes macht ihn frei;
- allein durch den Glauben: der Glaube entsteht in der Begegnung des Menschen mit Gott;
- allein durch die Bibel: die Bibel ist die einzige anerkannte Autorität. Das heutige Verstehen ihrer Botschaft kommt durch die Bemühungen aller Kirchen unter Berücksichtigung ihrer Verschiedenheit zustande;
- die Kirche bleibt zu reformieren: in der Kirche vereinen sich alle, die sich mittels Taufe und Abendmahl in Jesus Christus zu Gott bekennen. Als Institution übt sie keine vermittelnde Funktion zwischen den Gläubigen und Gott aus. Als menschliche Gemeinden entwickeln sie sich weiter, so wie auch die Menschheit nicht statisch bleibt;
- das allgemeine Priestertum: jeder Getaufte hat seinen Platz in der Kirche, ob als Laie oder als Pfarrer. Der Pfarrer ist nicht von Wesen her anders als andere Menschen, sondern aufgrund seiner theologischen Ausbildung dazu fähig und bestellt, die Gemeinde anzuleiten. Alle Mitglieder der Kirche haben die Pflicht, vom Glauben Zeugnis abzulegen und sich als Christen in der Welt zu engagieren.
Die ERF hat unter den protestantischen Kirchen Frankreichs die gröβte Mitgliederzahl: 110.000 Haushalte gehören ihr an, das wären über 350.000 Personen. Ungefähr 500 Gottesdienstvereine kümmern sich um 850 Kirchen, in denen der Gottesdienst mehr oder weniger regelmäβig abgehalten wird. 300 Pfarrer sind in den Gemeinden tätig und 60 üben andere Ämter aus: theologische Lehre, Seelsorge, Leitung der Kirche, Kommunikation und Diakonie. Etwa 70 Pfarrer sind für die protestantischen Wohltätigkeitsverbände und Bewegungen freigestellt. Der Anteil der Frauen im Pfarramt liegt gegenwärtig bei etwa 30% mit steigender Tendenz. Die meisten Pfarrer (85%) sind verheiratet.
Die ERF bildet mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche Frankreichs (EELF) und der Union der protestantischen Kirche in Elsass und Lothringen einen ständigen lutherisch-reformierten Rat, in dem frankreichweit die europäischen Vereinbarungen umgesetzt werden, vor allem die Anerkennung und die Ausbildung der Pfarrer betreffend.
Die ERF ist Mitglied der Fédération protestante de France und gehört dem Reformierten Weltbund und dem Weltkirchenrat (Ökumenischen Rat der Kirchen) an.
Die Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs
1997 begann in Sochaux der Annäherungsprozess zwischen der ERF und der Evangelisch-Lutherischen Kirche Frankreichs (EELF), der schlieβlich zur Vereinigung in einer einzigen Kirche führte: « L’Église protestante unie de France, communion luthérienne et réformée » (Vereinigte Protestantische Kirche Frankreichs, lutherische und reformierte Gemeinschaft). Am 1. Januar 2013 trat diese Union offiziell in Kraft. Die erste Nationalsynode der vereinten Kirche trat vom 8. bis 12. Mai 2013 in Lyon zusammen. Die Instanzen wurden auf nationaler Ebene zusammengelegt und die Pfarrer bilden eine Körperschaft, nur die Gemeinden, die Ortskirchen bleiben entweder reformiert oder lutherisch.
Webseite der Église protestante unie de France