Die Studienreise eines jungen Protestanten
Louis de Jaucourt wurde am 27. September 1704 in Paris geboren. Er entstammte einer uradligen, in der Champagne und der Bourgogne verwurzelten Familie, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts zum Protestantismus übergetreten war. Zwar galten die Jaucourts seit dem Widerruf des Edikts von Nantes (1685) offiziell als Katholiken, aber sie hielten an ihrem alten Glauben fest und nahmen unauffällig am reformierten Gottesdienst in den skandinavischen Gesandtschaften von Paris teil. François, ein weiterer Sproß dieser Familie, spielte nach dem Toleranzedikt (1787) eine bedeutende Rolle im französischen Protestantismus.
1720 nahm Louis de Jaucourt ein Studium der reformierten Theologie in Genf auf. Danach studierte er Mathematik und Physik in Cambridge und vollendete schließlich seine Peregrinatio academica in Leiden, wo er 1730 zum Doktor der Medizin promoviert wurde. Am Ende seines Studiums beherrschte er vier Fremdsprachen (Deutsch, Englisch, Italienisch und Spanisch) und zwei alte Sprachen (Griechisch und Latein) und hatte sich zu einem bemerkenswerten Kenner der antiken Schriftsteller und frühchristlichen Denker sowie der Geschichte und Politik, der Philosophie und Theologie, der Physik und Mathematik, der Chemie und Botanik, der Literatur und der Schönen Künste entwickelt. 1738 kehrte er nach Frankreich zurück, wo er fortan das Leben eines in seinen Büchern vergrabenen Gelehrten führte.
Ein Gelehrter der Aufklärung
Seit 1728 war Jaucourt an der Redaktion und der Herausgabe verschiedener wissenschaftlicher und gelehrter Zeitschriften beteiligt. Er verfaßte auch eine Lebensgeschichte von Leibniz, deren erste Fassung 1734 erschien ; 1747 und 1760 legte er von diesem Werk jeweils überarbeitete und vermehrte Neuauflagen vor, was ihm 1764 die Berufung an die Berliner Akademie eintrug.
Kurz nach seiner Rückkehr nach Frankreich hatte er die Arbeit an einem in lateinischer Sprache verfaßten medizinischen Universallexikon (Lexicon medicum universale) begonnen, das schließlich sechs dicke Bände umfaßte. Um die französische Zensur zu umgehen, schickte er das Werk auf dem Seeweg an einen Verleger in Amsterdam. Das Schiff ging jedoch vor der holländischen Küste unter, und mit ihm verschwand das Manuskript in den Fluten. Jaucourt hatte keine Kopie anfertigen lassen und sah sich so um den Erfolg seiner mehrjährigen angestrengten Arbeit gebracht.
Im September 1751 erhielt er von Denis Diderot (1713-1784) die Einladung, an der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers [« Enzyklopädie oder Auf Vernunfterkenntnis gegründetes Lexikon der Wissenschaften, der Kunst und des Handwerks »] mitzuarbeiten, deren erster Band soeben erschienen war. Ab dem zweiten, im Januar 1752 ausgelieferten Band war Jaucourt festes Redaktionsmitglied der Encyclopédie, zu der auch Condillac, Holbach, Helvétius und Buffon, Turgot und Quesnay sowie Rousseau und Voltaire beitrugen.
Der « Sklave der Enzyklopädie »
Die Encyclopédie umfaßt 17 Textbände (1751-1766) und 11 Bände mit Kupferstichen (1762-1772) sowie 5 Ergänzungsbände und ein zweibändiges Gesamtregister, mit dem das Werk 1780 abgeschlossen wurde. Sie enthält das gesamte Wissen der Zeit und hat vielen wissenschaftlichen und technischen Neuerungen den Weg bereitet. 146 Mitarbeiter sind namentlich bekannt. Von den ungefähr 68.000 Artikeln hat Jaucourt an die 17.000 verfaßt. Diderot nannte ihn in aller Herzlichkeit den « Sklaven der Enzyklopädie ».
Die bedeutendsten Beiträge von Jaucourt finden sich unter folgenden Stichwörtern : Conscience [Bewußtsein], Démocratie [Demokratie], Égalité naturelle [Natürliche Gleichheit], Esclavage [Sklaverei], France [Frankreich], Gouvernement [Regierung], Guerre [Krieg], Inquisition [Inquisition], Liberté naturelle [Natürliche Freiheit], Liberté civile [Staatsbürgerliche Freiheit], Liberté politique [Politische Freiheit], Loi fondamentale [Grundgesetz], Mélancolie religieuse [Religiöse Schwermut], Monarchie absolue [Absolute Monarchie], Monarchie limitée [Eingeschränkte Monarchie], Paris [Paris], Patrie [Vaterland/Heimat], Peuple [Volk], Presse [Presse], République [Republik], Superstition [Aberglaube], Traite des Nègres [Sklavenhandel]. Darüber hinaus hat er aber auch unzählige Abhandlungen zu Einzelfragen aus allen Bereichen der Physiologie, Chemie, Botanik und Pathologie verfaßt.
In seinen Beiträgen erweist er sich als ein kritischer, freier und toleranter Geist, der der Religion jedoch stets mit Respekt begegnet.
Das Leben eines Enzyklopädisten
Während der letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens arbeitete Jaucourt unablässig für die Encyclopédie. Stets umringt von zahlreichen Sekretären, Schreibern und Kopisten kompilierte und diktierte er bis zu vier Artikel am Tag. Ohne ihn hätte die Encyclopédie sicherlich niemals abgeschlossen werden können. In seiner « Freizeit » verfaßte er außerdem eine Lebensgeschichte des berühmten niederländischen Mediziners Boerhaave sowie (zusammen mit Diderot und d’Alembert) ein Lexikon der sinnverwandten Wörter der französischen Sprache [Synonymes français].
Jaucourt hielt sich vom mondänen Pariser Leben fern und spendete sein Vermögen den Armen, indem er diese in seiner Arztpraxis kostenlos behandelte. Auch bezahlte er seine Mitarbeiter aus der eigenen Tasche, was ihn schließlich 1761 dazu nötigte, sein in Compiègne gelegenes Haus « mit Kutscheneinfahrt » an den Buchhändler Le Breton zu verkaufen, einen der Verleger der Encyclopédie, der ihm dort jedoch freies Wohnrecht auf Lebenszeit einräumte. In diesem Haus ist Louis de Jaucourt am 3. Februar 1779 gestorben.