Eine günstige Lage
Ab dem 15. Jahrhundert ist Lyon, die wirtschaftliche Hauptstadt des Reiches, eine nach außen offene Stadt. Die von italienischen, dann deutschen und Schweizer Kaufleuten beherrschten Messen, der Handel und die Bank binden die Stadt in ein europäisches Netz ein, in dem sich die neuen Ideen verbreiten. Das Konsulat, die weltliche Autorität der Stadt, nimmt eine gemäßigte Haltung gegenüber den mehr oder minder Wucher treibenden Kaufleuten ein, die zuweilen auch der Häresie verdächtigt werden. Umso mehr als die lokale Macht schwach ist: kein Parlament, keine theologische Fakultät gibt es da, um die Häretiker anzuzeigen, die oft nur als rebellierendes Volk betrachtet werden. Die höchsten Autoritäten, Kardinäle, Erzbischöfe, folgen in zu schnellem Wechsel aufeinander, um den Gegensatz zwischen Konsulat und Klerus aufheben zu können, und begünstigen so eine antiklerikale Stimmung. Die Haltung des Konsulats in religiösen Fragen ist äußerst vorsichtig und man kümmert sich vor allem um die Verteidigung der wirtschaftlichen und politischen Interessen gegenüber einem Erstarken der Königsmacht.
Die Anwesenheit von Marguerite d’Angoulême und ihres Hofes in Lyon im Jahre 1524 begünstigt mit die Verbreitung neuer Ideen.
Der Schwester von Franz I. geht es vor allem darum, zur ursprünglichen Kirche zurückzukehren und nur das Evangelium zu predigen.
Die Schrift spielt wie in der gesamten Geschichte der Reformation eine wesentliche Rolle. Ab Ende des 15. Jahrhunderts kommen Arbeiter, Buchdrucker, Radierer, Goldschmiede aus Deutschland; sie bringen ihr Werkzeug mit und ihr Geschick. Die ersten Texte an der Grenze der Orthodoxie erscheinen in den Jahren um 1530. Die Messen erlauben die Ankunft von in Antwerpen, Basel, Straßburg und besonders in Genf veröffentlichten Büchern, wo sich ab 1550 das calvinistische Verlagswesen stark entwickelt. Die auf Französisch am stärksten verbreiteten Autoren reichen von den Lutheranern bis zu den Schweizer Reformatoren, aber die Auflagen bleiben sehr begrenzt im Vergleich zu den katholischen Werken.
Viele dieser Buchdrucker sind Humanisten wie der Deutsche Sebastian Gryphe: ein Freigeist, der sich für neue Ideen interessiert, sich nach Arbeit in Venedig in Lyon niederlässt und sowohl häretische als auch orthodoxe Bücher verbreitet.
Unter den „radikalen“ Buchdruckern, die diese neuen Ideen annehmen, muss Pierre de Vingle erwähnt werden, Schwiegersohn des Druckers von Rabelais, der ab 1525 Guillaume Farel veröffentlicht. Er verlässt vorsichtshalber Lyon und folgt Farel nach Genf, dann nach Lausanne. Etienne Dolet (1509-1546) publiziert Erasmus, Lefèvre d’Etaples, Olivétan und Marot, was ihm zahlreiche Verhaftungen einbringt bis hin zur Verurteilung zum Scheiterhaufen.
Indem das Schriftliche immer mehr Bedeutung erlangt, wächst die Rolle der Arbeiter im Buchdruck. Die meisten sind Einwanderer, können aber lesen und schreiben; sie leben in weltlichen Gemeinschaften, den „Griffarins“, mit ihnen eigenen Initiationsriten; in den Gemeinden, die sie besuchen, fordern sie eine neue Art des Gottesdienstes mit einer für das Volk verständlichen Liturgie auf Französisch. Die sozialen Konflikte sind zuweilen sehr heftig.
Die ersten Anzeichen
Bis 1550 sind die Lager nicht klar definiert. Eine kleine Minorität ist davon überzeugt, dass man mit Rom brechen müsse, aber es handelt sich vor allem um Ausländer. Für die Mehrheit geht es um die Veränderung der Kirche im Glauben, in Frömmigkeit, so lautet das Ziel der Humanisten, die mehr oder weniger Luthers Ideen kennen. Aber eine Entwicklung zeichnet sich ab. Während die katholische frömmelnde Strömung sich weiter entwickelt, beginnt die Unterdrückung. Als Antwort darauf mehren sich die bilderstürmerischen Handlungen, mehr oder minder geheime Versammlungen finden statt, in denen die Psalmen Marots gesunden werden. Im Juni 1551 droht das Edikt von Chateaubriant den Häretikern mit der Todesstrafe und führt zu zahlreichen Hinrichtungen. Im Jahre 1560 beschreibt das Kapitel von Lyon die Stadt als ein „zweites Genf“ und in der Tat verstärkt sich der Einfluss Calvins sich mit der Entsendung mehrerer Pastoren.
Der Gottesdienst verlässt den Untergrund, wo er in Privathäusern, manchmal in kleinen Gassen oder auf Friedhöfen gefeiert wurde. Ein Abgesandter des Königs fordert die Reformierten auf, ihre Versammlungen, die aus mehreren tausend Personen bestehen können, außerhalb des Stadtzentrums abzuhalten: diese sichtbare Gemeinde, von Pastoren und einem Konsistorium geleitet, entspricht der Schaffung einer regelrechten protestantischen Kirche.
Die Jahre 1560 und 1561 sind von mehreren Aufständen gekennzeichnet, in denen die Protestanten versuchen, die Macht zu übernehmen: sie misslingen, die Unterdrückung nimmt zu und die Versuche einer Versöhnung unter dem Einfluss von Katharina von Medici schüren den Zorn der Katholiken. Am 1. März 1562 löst das Massaker von Wassy den ersten Religionskrieg aus.
Eine protestantische Hauptstadt
Ende April 1562 geht das Gerücht um, eine katholische Armee bewege sich auf Lyon zu. In der Nacht vom 29. auf den 30. April gelingt es einer Gruppe von 1200 Protestanten in einem Gewaltstreich Herr über die Stadt zu werden. Die fehlende Reaktion der katholischen Einwohner (2/3 der Bevölkerung) ist nach wie vor schwer erklärlich: der Stadtgouverneur ist abwesend, sein Vertreter ist wahrscheinlich insgeheim den Ideen der Reformation zugetan; auch die Angst vor der protestantischen Armee des Barons des Adrets, bekannt für seine Ausschreitungen, hat möglicherweise eine Rolle gespielt.
Die Protestanten müssen sich eine Organisation geben, aber ihre Lage ist zwiespältig: sie bleiben dem von der Familie Guise gehaltenen Königtum treu ergeben, missbilligen aber dessen Religionspolitik. Das aus 24 gewählten Vertretern bestehende Konsulat, davon die Hälfte Protestanten, wird beibehalten, aber die wirkliche Macht liegt in den Händen von zwei Verwaltungsorganen, die nach dem Genfer Vorbild geschaffen wurden: dem Konsistorium als Machtzentrum, das etwa 60 Personen umfasst (Pastoren, „Älteste“ und Personen, deren Leben vorbildlich ist, vor allem Anwälte, Notare, Kaufleute, wenig Bauern, wenig Adlige) und dem Rat, der das kirchliche Leben verwaltet.
Schließlich bittet man den Prinzen von Condé, „einige bedeutende Herren zu schicken, um die Geschäfte besser zu führen“: den den Protestanten zugetanen Seigneur de Soubise, aber auch den Herzog von Nemours, der sich als überzeugter Gegner offenbart, woraus zahlreiche, oft blutige Auseinandersetzungen entstehen.
Der katholische Gottesdienst wird aufgehoben, die religiösen Feste verboten. Die Verbreitung der reformierten religiösen Anschauungen schreitet voran, unterstützt von der Tätigkeit der Buchdrucker und Buchhändler. Über hundert Titel werden veröffentlicht: Kampfgedichte, Satiren, Pamphlete, Übersetzungen der Bibel auf Französisch, Gebetbücher, usw….
Der Bildersturm tobt, systematisch organisiert von den Truppen des Barons des Adrets, die die Stadt besetzen. Zahlreiche Kirchen werden geplündert, zerstört oder sogar dem Erdboden gleichgemacht, darunter die Kirche und das Kloster Saint-Just, eine katholische Bastion.
Nachdem die protestantische Herrschaft eingerichtet ist, werden große Bauarbeiten beschlossen: die Verschönerung der Stadt, die Zerstörung von Häusern zwecks Verbreiterung der Straßen, der Bau einer Brücke über die Saône. Die Höhe der dafür veranschlagten Ausgaben ist Teil der finanziellen Probleme, die die Stadt in ernste Schwierigkeiten stürzen.
Der Rückzug
Am Tag nach der Niederlage des Prinzen von Condé in Dreux (19. Dezember 1562) befiehlt Katharina von Medici dem Seigneur Soubise, sich der Krone anzuschließen, um Lyon „Zerstörung und Verwüstung“ zu ersparen. Das Edikt von Amboise (18. März 1563) erzwingt die Rückkehr des Katholizismus, garantiert den Protestanten aber die Freiheit, in zwei Kirchen in Lyon Gottesdienst feiern zu dürfen. Die Autorität des Königs ist wieder hergestellt. Fast zwei Jahre lang leben Katholiken und Protestanten in relativem Frieden zusammen: die Reformierten fühlen sich sicher genug, um ihre nationale Synode zu organisieren (6. August 1563). Pastor Pierre Viret, Vorsitzender des Konsistoriums, ist ihr Präsident. Doch in den folgenden Jahren verstärkt die katholische Religion ihre Macht. Sie nimmt die politischen und Verwaltungsinstanzen wieder in die Hand, das Konsulat wird umgebildet im Sinne einer katholischen Mehrheit. Die Kirchen werden wieder aufgebaut. Die interkonfessionellen Konflikte gehen weiter, wenn auch mit weniger Gewalt, und zahlreiche Protestanten verlassen die Stadt: zum Höhepunkt der Reformation zählte man 25.000 Teilnehmer am Abendmahl, die Zahl geht gegen 1567 auf 4.000 zurück. Die Pastoren werden aus den Mauern vertrieben, unter ihnen Pierre Viret als Ausländer. Der katholische Wiederaufstieg geht schnell voran: Wiederaufnahme der Prozessionen in der Stadt, Marienkult, die wichtige Rolle der Jesuiten, die religiöse und Laienbruderschaften oft mit sozialem Auftrag gründen, alles Faktoren, die zum Kampf gegen die Häretiker ermutigen.
Die „Lyoner Vesper“ vom 30. August bis 3. September 1572 ist ein Beispiel dafür als Echo auf das Massaker der Bartholomäusnacht vom 24. August in Paris. Der König übernimmt die Verantwortung dafür, aber er verlangt, dass sich solche Ereignisse in seinem Reich nicht wiederholen.
In Lyon sorgen Gerüchte und Verwirrungen dafür, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. August die ersten Gewalttaten verübt werden. Das Konsulat ist gespalten und beschließt, die Protestanten in den verschiedenen Gefängnissen der Stadt in Sicherheit zu bringen. Am Morgen des 31. wird eine makabre, von der Polizei eingerahmte Prozession organisiert. Sie begibt sich zum Erzbischofspalast, wo eine Art Gericht installiert ist: die Protestanten, die abschwören, werden verschont, die anderen hingerichtet, verstümmelt und ihre Körper werden in die Saône geworfen. Diese Massaker wiederholen sich in den anderen Gefängnissen. Die Zahl der Toten unterliegt unterschiedlichen Schätzungen, zwischen 1.800 und 3.000.
Somit hat die härteste katholische Fraktion gewonnen, die Zeit der protestantischen Herrschaft bleibt nur eine ferne Erinnerung. In den folgenden Jahren herrscht ein unversöhnlicher Katholizismus; die Stadt schließt sich im März 1559 der Liga an; die Protestanten werden ausgewiesen.
Im September 1559 hält Heinrich IV. einen triumphalen Einzug in Lyon, die Religionskriege enden 1598. Nach der Verkündung des Edikts von Nantes kommen Protestanten heimlich zurück in die Stadt; ein Gottesdienstort wird am Stadtrand eingerichtet, aber die konfessionelle Koexistenz bleibt zerbrechlich bis zur Aufhebung des Edikts 1685, die Lyon zur katholischsten Großstadt Frankreichs macht.