Professor, Laienprediger, Dozent
Als ehemaliger Schüler der Ecole Normale Supérieure de la rue d‘Ulm (Elitehochschule für Literatur-und Geisteswissenschaften) und Studienrat der Philosophie wird er 1885 im Gymnasium von Montauban zum Philosophielehrer ernannt, einige Monate später bekommt er einen Lehrauftrag an der Protestantischen Theologischen Fakultät dieser Stadt.
Danach, im Jahre 1889, erhält er einen Lehrauftrag an der Theologischen Fakultät von Paris und wird dort 1902 ordentlicher Professor (Doktorarbeit über die Kabale der Frömmler).
Stark beeindruckt von der Persönlichkeit und christlich-sozialen Predigt von Tommy Fallot nimmt er an den Arbeiten der Société d’aide fraternelle et d’études sociales (Gesellschaft für brüderliche Hilfe und soziale Untersuchungen) teil, die letzterer gegründet hat. Er ist einer der Begründer und der erste Präsident der Fédération française des associations chrétiennes d’étudiants (französische Vereinigung der christlichen Studentenbünde) und erhöht die Strahlkraft des Bundes der protestantischen Studenten von Paris (rue Vaugirard), dem er ab 1920 vorsteht.
Raoul Allier ist überzeugt von der Unschuld des Hauptmanns Dreyfus und veröffentlicht eine aufschlussreiche Studie über Voltaire und Calas, danach eine Artikelfolge in der Zeitung Le siècle (Das Jahrhundert). Dieser zutiefst patriotische Reformist knüpft nützliche Kontakte sowohl nach links mit den Mitgliedern der Liga für Menschenrechte, als auch nach rechts mit den Mitgliedern des katholischen Komitees für die Verteidigung des Rechts.
Anlässlich der Vorbereitung des Gesetzes über die Trennung von Kirche und Staat setzt er sich mächtig in Le siècle und bei den Abgeordneten für einen liberalen Entwurf der neuen Organisation ein, das heißt für eine komplette und definitive Trennung von Kirchen und Staat.
Als Mitglied des Leitungsgremiums der Gesellschaft für Evangelische Missionen in Paris verteidigt er in Le siècle vehement die Religionsfreiheit, die in Madagaskar durch die von Gouverneur General Victor Augagneur betriebene, vor allem gegen die protestantischen Missionen gerichtete Politik der Verstaatlichung bedroht wird.
Der Krieg 1914-1918, in dem er seinen ältesten Sohn verliert, der schon im August 1914 getötet wird, hinterlässt tiefe Spuren in ihm und er nimmt am Kampf gegen den „Defätismus“ durch eine große Aktivität als Prediger und Redner Teil. Die einundachtzig Conférences de guerre (Kriegsreden), die Raoul Allier als Patriot und Gläubiger jeden Dienstag in den vier größten protestantischen Kirchen von Paris hält, finden einen großen Widerhall.
Nachdem er 1920 Dekan der Pariser Theologischen Fakultät geworden ist, betreibt er eine ehrgeizige Politik in der Aufnahme von ausländischen Studenten und in Kontakten mit Studenten aus Mittel-und Osteuropa.
Seine Schriften
Drei Werke, die die religiöse Philosophie und die Soziologie betreffen, zeugen von seinem Denken:
- Die Psychologie der Bekehrung bei den nichtkultivierten Völkern
- Die Nichtkultivierten und wir
- Magie und Religion
Darin zeigt er die degradierende Rolle der Magie in den verschiedenen Kulturen und in der Religion.