Ein gemäßigter Theologe
Wolfgang Capiton wird in Haguenau geboren, wo sein Vater Schmiedemeister ist. Er studiert Medizin, später Jura an der Universität Ingolstadt (Bayern) und Theologie in Freiburg, die er 1515 mit einem Doktortitel abschließt. Während seines Studiums, das ihm insgesamt drei Doktorabschlüsse einbringt, kommt er in Kontakt mit den rheinischen Humanisten und lernt Matthäus Zell und Jakob Sturm kennen, ebenfalls Befürworter der Reformation.
Während seiner Zeit als Prediger am Münster von Basel und Theologieprofessor an der dortigen Universität, rufen seine Kommentare zu den Römerbriefen und seine Predigten großes Interesse hervor. Erasmus bemerkt den hervorragenden Hebraisten und bittet ihn, an der Herausgabe des Neuen Testaments in der griechischen Originalsprache mitzuwirken. Er trifft Zwingli und korrespondiert mit Luther. Dessen Haltung gegenüber der weltlichen Macht kritisiert er und rät ihm, vorsichtig mit den Machthabern umzugehen.
1519 nimmt er die Stelle des Predigers und Beraters am Hof des Erzbischofs von Mainz Albrecht von Brandenburg an. Dieser ist Prälat und Erzkanzler[1] des Heiligen Römischen Reiches und sehr darauf bedacht, die herkömmliche Ordnung beizubehalten. Capiton versucht, die religiösen Spannungen zu mindern, indem er einerseits die lutherische Partei mäßigt und sich andererseits den anti-lutheranischen Edikten widersetzt.
[1] Kanzler: Würdenträger, der mit der Bewahrung des königlichen Siegels und, je nach Zeitalter, mit der Rechtspflege beauftragt ist.
Die Reformation in Straßburg
1523 verlässt Wolfgang Capiton Mainz und geht nach Straßburg, um dort die Stelle als Probst des Thomasstifts[1] anzunehmen. Er erlangt bald das Bürgerrecht und nimmt mit Bucer an der Neuordnung der Straßburger Kirche teil: 1524 tritt er für die Reformation ein und übernimmt dank seines Einflusses auf die Straßburger Stadtregierung („Magistrat“) in kirchlichen Fragen bald die Führungsrolle.
Er heiratet die Tochter eines Mitglieds des Rates der Fünfzehn, eines einflussreichen Rates, der die Finanzen regelte. Diese Hochzeit wie auch seine Wahl in die Pfarrei von Jung-Sankt-Peter stärken seinen religiösen Einfluss in der Stadt.
Wolfgang Capiton engagiert sich im Stadtleben und veröffentlicht 1529 einen Kinderkatechismus. Durch eine Petitionskampagne erreicht er beim Magistrat die vollständige Abschaffung der römisch-katholischen[2] Messe. Lange Zeit ist er nachsichtig gegenüber den verfolgten Täufern, um eine Bauernrevolte zu befrieden. Er zögert auch nicht, mehrere Mitglieder dieser Strömung, insbesondere Michel Servet, zu schützen. Ebenso empfängt er in Straßburg Jacques Lefèvre d’Etaples und Calvin im Jahr 1538.
[1] Stift: Eine Gemeinschaft von Säkularkanonikern, die für Gottesdienste an einer Kathedralkirche oder an Kollegiatskirchen zuständig sind.
[2] „Katholisch“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „allgemein“. Diesen Namen trägt die römisch-katholische Kirche unter Leitung des Papstes.
Eine Rolle als Friedensstifter
Nach dem Tod seiner Frau tritt Capiton allmählich hinter Bucer zurück. Er kehrt zu seiner eigentlichen Arbeit als Humanist zurück und setzt seine Zusammenarbeit mit Erasmus fort, dessen Abhandlung über die Wittenberger Konkordie er übersetzt.
Tatsächlich ist er, wie letzterer, Anhänger einer vorsichtigen Linie und einer Versöhnung auf theologischer Ebene. Capiton schreitet beispielsweise in der Auseinandersetzung zwischen dem Magistrat und dem Berner Klerus ein, weil er eine Einheit mit den Schweizern wünscht.
Capiton reist häufig in die Schweiz und nach Deutschland und nimmt an allen Reichstagen und Konferenzen teil, die den Konflikt zwischen den Religionen friedlich beilegen wollen. Er trägt zur Ausarbeitung der Konkordie von Wittenberg (1536) bei und nimmt auch am Kolloquium von Worms im Jahr 1540 teil.
In den letzten Jahren seines Lebens nimmt er Abstand von der Problematik der religiösen Konflikte und wendet sich konkreten Problemen wie den Pflichten des Staates gegenüber armen Familien zu.